Jahnj hat geschrieben:wenn du sagst dass er Sachen ignoriert, dann muss ich auch fragen welche Dinge das sind, und worauf du dich mit deiner Kritik genau beziehst.
Nun, ob so eine aufzaehlung von einem oder einer Gruppe Historiker glaubwuerdiger oder akkurater ist als die aufzaehlung anderer Historiker, darueber streiten sich... die Historiker.
Wenn du dich länger mit dem Thema beschäftigst und zehn, fünfzehn, zwanzig Bücher dazu liest, stellst du unweigerlich drei Dinge fest:
(1) Es gibt eine absolut unüberschaubare Menge an Reden, Radioansprachen, Zeitungsartikeln und Plakaten, in denen Nazis betonen, dass nur ein wehrhafter Mann ein echter Mann ist, dass Wehrsport und Jagd den Charakter bilden und einen wichtigen Beitrag zur körperlichen, geistigen und spirituellen Gesundheit des deutschen Volkskörpers leisten, und dass ein deutscher Mann schon allein deshalb Jäger sein sollte, weil das deutsche Volk ein naturverbundenes Volk ist. Ein Volk, dass nicht jagd, ist ein verstädtertes, dekadentes, degeneriertes Volk. Einige dieser Reden und Aufsätze stammen von Adolf Hitler, Hermann Göring, Josef Goebbels und Heinrich Himmler persönlich.
Es gibt eine ebenso unüberschaubare Menge an internen Rundschreiben, internen Dienstanweisungen und Artikeln in internen Schulungsunterlagen, die zeigen, dass das alles nicht nur Propaganda war, sondern dass hoch- und höchstrangige Nazis dieses Zeug durchaus selbst geglaubt haben, vollinhaltlich und vorbehaltlos. Jeder Autor, der will, findet offenbar problemlos zehn neue derartige Quellen; was du in veröffentlichten Werken tatsächlich zitiert siehst, ist allem Anschein nach nur durch den Platz beschränkt.
Nazis scheinen ihre Untertanen nur selten
unmittelbar dazu aufgefordert zu haben, sich privat zu bewaffnen, das stimmt. Eine Bewaffnung scheint in erster Linie im Rahmen der Mitgliedschaft in der Wehrmacht und in den verschiedenen Parteiverbänden vorgesehen gewesen zu sein, das stimmt auch. Implizite
Ermunterung oder zumindest
Erlaubnis zur Bewaffnung wurde aber mehr oder weniger von allen Dächern getrommelt, stand jeden zweiten Tag in der Morgenzeitung und kam jeden zweiten Abend aus dem Volksempfänger. Man darf nicht unterschlagen, dass SA und SS zwar Langwaffen und reguläre Dienstpistolen zentral verwahrt haben, Ehrenpistolen aber zum Beispiel nur selten, und dass die heftig beworbenen Jagdverbände überhaupt private Büchsen vorausgesetzt haben.
(2) Es gibt eine absolut unüberschaubare Menge an internen Rundschreiben, internen Dienstanweisungen und Artikeln in internen Schulungsunterlagen, die zeigen, wie sehr das Regime sich (zum Beispiel) vor Unfrieden durch hohe Mieten, hohe Lebensmittelpreise, hohe Heizstoffpreise, hohe Arbeitsbelastung, provokant zur Schau gestelltes Kriegsgewinnlertum oder kriegsbedingten Mangel an Luxusgütern gefürchtet hat. Das berühmte
Kanonen machen uns mächtig, Butter macht uns nur fett und der
Sozialismus der Tat ziehen sich wie zwei rote Fäden durch die Propaganda der gesamten Nazizeit, vom Sommer 1932 bis zu Goebbels' endgültig letzter Ansprache Stunden vor dem Fall Berlins.
(3) Es gibt im Kontrast dazu nur zwei oder drei handvoll Stellen, die darauf hindeuten, dass Nazis vor Widerstand durch private Waffen Angst gehaben haben könnten oder versuchst hätten, privatem Waffenbesitz unter unauffälligen Deutschen entgegen zu wirken. Spätestens ab dem dritten Buch oder dem vierten Artikel siehst du, dass die Zitate anfangen, sich zu wiederholen, ein bisschen später werden sie langweilig und am Ende kannst du sie auswändig.
Juden und offene Regimegegner sind sukzessive entwaffnet worden, das ist richtig. Es ging dabei aber nicht in erster Linie um die Verhinderung von Widerstand, sondern um den symbolischen Ausschluss aus der Gesellschaft. Juden wurden Waffen verboten so wie ihnen das Tragen deutscher Tracht verboten (und später des Tragen eines Judensterns vorgeschrieben) wurde: sie sollten unmissverständlich aus dem Kreis der Deutschen ausgeschlossen werden. Regimegegner wurden vom Waffenbesitz ausgeschlossen so wie sie von anderen "Ehrenrechten" ausgeschlossen wurden, so wie
Verbrecher vom Waffenbesitz ausgeschlossen wurden: Opposition sollte unmissverständlich mit Verbrechen gleichgesetzt sein.
An manchen Orten und zu bestimmten Zeiten haben lokale Behörden versucht, Waffenbesitz auf Mitglieder der Partei, einer Parteiorganisation oder einer nazidominierten Standesvertretung zu beschränken, das stimmt. Diese Bedingung hat aber so gut wie jeder Jugendliche oder Berufstätige Erwachsene erfüllt. Die Nazis haben gewusst, dass nicht jeder Angehörige der HJ, jeder Teilnehmer an einer KdF-Kreuzfahrt oder jedes Zwangsmitglied der Reichsschrifttumskammer ein überzeugter Nazi ist. Es war ihnen egal, weil es ja eben nicht um Verhinderung von Widerstand, sondern um die Belohnung von Unterwerfungsgesten ging. Wer zumindest so tat, als ob er ein Nazi sein wollte, durfte auch ein echter Mann sein wollen.
Insgesamt: Nein, die Historiker streiten nicht; die Quellenlage ist eindeutig. Ich kann dir nicht sagen, was genau Halbrook ausgelassen hat, aber er muss eine ganze Menge gelesen zu haben, um die paar Zitate zu finden, die er dir als repräsentativ verkaufen will. Wenn er nicht von vornherein vorverdautes Material von anderen quote minern herangezogen hat, muss er, ob bewusst oder unbewusst, buchstäblich hunderte Dokumente ignoriert haben, um seine paar Treffer für repräsentant halten zu können.
Schliesslich ist ja die Idee hinter z.b. einem 2nd Amendment dass dies fuer jeden Staatsbuerger gilt, und nicht nur fuer z.b. Staatsbuerger die Mitglied einer bewaffneten republikanischen Organisation oder Miliz sind. Insofern hinkt dieses Argument.
Och komm, versuch mich nicht zu verarschen. Du weißt sehr genau, dass heute niemand mehr feststellen kann, ob das 2nd Amendment ursprünglich wirklich so gemeint war oder nicht doch mit Blick auf Bürgermilizen geschrieben wurde. Ich kenne DC v. Heller und ich weiß, dass der Court beschlossen hat, die erste Hälfte des Texts schlicht und einfach zu ignorieren, aber die Entscheidung beruht ausdrücklich
nicht auf irgendeiner spezifischen Annahme zum original intent, weder positiv noch negativ.
Ich kann natuerlich nicht mit repraesentativen Statistiken aufwarten. Aber ich kenne doch so einige "real Americans" die du sicher in diese Lade einordnen wuerdest, und die finden trotzdem den Patriot act, waterboarding etc. alles andere als cool. Sicher gibt es genuegend die das "irgendwie verstaendlich" finden. Alle ueber einen Kamm zu scheren ist aber auch nicht richtig.
Natürlich wäre es falsch, alle über einen Kamm scheren zu wollen, aber das wollte ich ja auch gar nicht. Ich rede ausdrücklich von "affin" und "mehrheitlich", also von Tendenzen. Die Tendenzen sind recht unbestreitbar. Waffeninhaber wählen mit einer signifikant höheren bedingten Wahrscheinlichkeit republikanisch als demokratisch. Die republikanische Seite ist die, deren Politiker, Juristen und Operatiors Guantanamo,
enhanced interrogation, die Aussetzung von
habeas corpus und die ganze andere autoritäre Kacke erfunden und durchgesetzt haben und deren Publizisten das alles verteidigen. Die demokratische Seite ist die, die diese Geschichten kritisiert, wenn auch zugegeben nicht immer sehr gut oder sehr konsequent.
Interessant. Ich sehe diese Korrelation nicht so eindeutig - von der zaghaften Aussage Bosbachs, privaten Waffenbesitz zu verbieten wuerde nicht viel bringen, mal abgesehen.
Die bedingte Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein deutscher Waffenbesitzer CDU wählt, ist signifikant höher als die dafür, dass er SPD oder Grüne unterstützt, richtig? Die CDU hat die Internetzensur erfunden und durchzusetzen versucht, SPD und Grüne waren zumindest am Anfang eher dagegen. Der von der CDU gestellte damalige Bundesinnenminister (Schäuble) hat die Idee des präventiven Abschusses von Linienmaschinen geboren und für eine Verfassungsänderung geworben, die den Einsatz der Bundeswehr im Inneren ermöglicht hätte. Die CDU-Schwester CSU hat das aktuelle Bayrische Versammlungsrecht zu verantworten.
Es wurde aber von Hitler eben KEIN liberales Waffenrecht geschaffen, im Gegenteil: Jede Waffe die nicht in den Haenden eines Nazis ist, sollte verschwinden. Und das ist es was ich damit meine wenn ich sage: Hitler war sicher ein Fan von Gun Control. Liberal war das Waffenrecht eben nur fuer Nazis. Und das ist, wie ich finde, schon ein brauchbares Argument.
Das Hitler SEHR WOHL ein liberales Waffenrecht geschaffen hat, ist eigentlich nicht bestreitbar, zumindest was den unmittelbaren Gesetzestext angeht. Man kann aber sicher verschiedener Meinung sein, was die Durchführung betrifft. Du hast sicher Recht damit, dass es den Nazis am liebsten gewesen wäre, wenn nur Nazis Waffen besessen hätten. Ich glaube aber, dass eine unvoreingenommene Untersuchung der aktuellen Literatur zeigt, dass sie nicht ernsthaft auf dieses Ziel hingearbeitet haben - zumindest nicht dadurch, dass sie dem eigenen Volk seine Waffen abgenommen hätten. Was sie viel eher versucht haben, ist, alle Deutschen zu Nazis zu machen. Die Quellenlage suggeriert für mich, dass eine Entwaffnung ihnen im Wesentlichen einfach den Stress nicht wert war.