Neutrale Heimat großer Waffen
Verfasst: Sa 19. Nov 2011, 20:48
Grad in der "Presse" gefunden:
http://diepresse.com/home/panorama/oest ... e/index.do
http://diepresse.com/home/panorama/oest ... e/index.do
360 Grad Österreich: Neutrale Heimat großer Waffen
Warum kommen ausgerechnet aus Österreich einige der besten Waffen der Welt? "Ja, das ist eine interessante Frage", sagt Ernst Reichmayr, Geschäftsführer von Steyr Mannlicher und hat auch eine Antwort parat.
Man ist es heutzutage ja gewohnt, überall durch Metalldetektoren gehen zu müssen. Auf Flughäfen, in Gerichten, in Ministerien. Also leert man mit routiniertem Griff die Taschen, als man beim Eingang der Firma in Kleinraming in Oberösterreich das bekannte graue Metallgestell sieht. „Nein“, erklärt die Dame an der Rezeption, „da müssen Sie nicht beim Reingehen durch, erst beim Rausgehen. Verteidigen“, scherzt sie, „können wir uns ja.“
Allerdings. Das hier ist die Fabrik von Steyr Mannlicher. In den Hallen liegen vermutlich genug Waffen, um die Invasion eines mittelgroßen Staates abwehren zu können. Gefährlicher ist, dass jemand etwas hinausschmuggelt. Eine unmarkierte Waffe aus der Fertigung beispielsweise oder noch schlimmer, ein Modell aus der streng abgeschirmten Entwicklungsabteilung. Dafür würde die Konkurrenz einiges bezahlen, denn die Vergangenheit hat bewiesen: Wenn Steyr Mannlicher ein neues Gewehr oder eine neue Pistole vorstellt, ist das meist etwas Revolutionäres.
Es gehört zu einem der vielen österreichischen Paradoxa: Ausgerechnet in dem kleinen Land mit seiner „immerwährenden Neutralität“ und einem der strengsten Waffengesetze sind zwei der erfolgreichsten Waffenhersteller der Welt zu Hause: Glock in Niederösterreich, dessen Pistolen von Polizeieinheiten weltweit verwendet werden. Und Steyr Mannlicher, auf dessen Armee Universalgewehr (AUG) Militärs und Spezialeinheiten in 30 Ländern dieser Welt setzen – und Jäger in noch viel mehr Ländern auf die fein gearbeiteten Jagdwaffen.
Einwurf: Das ist keine moralische Geschichte über Kriegswaffen oder über die Frage, wann die ethische Verantwortung eines Unternehmens beginnt. Auch keine philosophische Betrachtung darüber, ob Waffen töten oder Menschen töten. Es geht um ein kleines österreichisches Unternehmen mit 150 Mitarbeitern, die bestrebt sind, ein bestmögliches Produkt herzustellen – und dabei recht erfolgreich sind.
Schießwütiger Habsburger. Warum also diese herausragende Qualität der Waffen ausgerechnet in Österreich? „Ja, das ist eine interessante Frage“, sagt Ernst Reichmayr, Geschäftsführer von Steyr Mannlicher, und hat schon eine Antwort parat: Es sei wohl einerseits die bis 1850 zurückreichende Büchsenmacherschule im Kärntner Ferlach und andererseits die Jagdtradition, angeführt von den Habsburgern, die passionierte Jäger und dankbare Kunden waren und sich dutzende Gewehre bauen ließen. Und sie auch nutzten, wie etwa Erzherzog Franz Ferdinand, für den man in Steyr einst eine Doppelbüchse im Wert eines heutigen Porsches fertigte. Die lichten Momente im Leben des einstigen Thronfolgers förderte man damit nicht: Franz Ferdinand soll laut seines Biografen Friedrich Weissensteiner im Laufe seines Lebens 275.000 Stück Wild erlegt haben, darunter Elefanten, Tiger und tausende Möwen.
Apropos Tradition: Bei den Waffenverkäufen bewies Österreich schon früh seine politische Flexibilität. Die staatlichen Rüstungsbetriebe gehörten zu den großen Waffenlieferanten im amerikanischen Bürgerkrieg Ende des 19. Jahrhunderts. 250.000 Stück des begehrten Lorenzgewehrs verkaufte man damals an die Nordstaaten – und knapp mehr als 200.000 an die Südstaaten.
Mittlerweile liefert man im Kriegsfall überhaupt keine Waffen mehr. Oft nicht einmal im Friedensfall, wie man in Kleinraming immer wieder erfahren muss. Jeder Verkauf einer Militärwaffe von Steyr Mannlicher muss erst von der Regierung genehmigt werden. Damit will man sicherstellen, dass finanziell potente, aber menschenrechtlich weniger gefestigte Staaten keine Waffen aus Österreich bekommen.
Teilweise, klagt Reichmayr, seien die Entscheidungen „etwas schwer“ nachzuvollziehen. Wie jüngst am Beispiel Indiens. Die Polizei wollte nach den Terroranschlägen in Mumbai sieben Scharfschützengewehre von Steyr Mannlicher kaufen, Innen- und Wirtschaftsministerium untersagten den Verkauf: Sie fürchteten einen menschenrechtswidrigen Einsatz, die Gewehre könnten auch in falsche Hände gelangen. „Wir haben jedes Verständnis für Beschränkungen und Exportverbote”, sagt Reichmayr, „aber sie sollen europaweit einheitlich sein.“ Das Geschäft mit Indien machte angeblich ein deutsches Unternehmen.
Illuminiertes Steyr. Dass man es als Waffenhersteller in Österreich nicht leicht hat, erfuhr schon Josef Werndl, der das Unternehmen 1864 gründete. Als die Waffenproduktion 1884 ein Tief erreichte, widmete er sich der Elektrizität – und bescherte Steyr einen Eintrag in die Geschichtsbücher als erste größere Stadt der Welt, in der durch Nutzung von Wasserkraft Straßen elektrisch beleuchtet wurden. Wer weiß, wohin das führen hätte können, hätte nicht die österreichisch-ungarische Armee 1885 das Repetiergewehr eingeführt. Werndl erhielt mit dem von Ferdinand Mannlicher entwickelten System den Auftrag und verlor in der Folge das Interesse an der Elektrizität. Während er wieder Gewehre baute, montierte man in Steyr die neuartigen Beleuchtungskörper ab und entzündete abends wieder Petroleum.
Die Militärwaffen machen mittlerweile etwa die Hälfte des Umsatzes von 20 Millionen Euro aus. Zuwächse verzeichnet man bei den Jagdwaffen, denen Steyr Mannlicher indirekt auch die Wiedererstehung nach dem Zweiten Weltkrieg verdankte. Der amerikanische Hobbyjäger General Mark Clark gab das Okay für die Produktion des in Jägerkreisen legendären Mannlicher-Schönauer-Gewehrs, das unter anderem im Waffenschrank von Ernest Hemingway stand und mit dem Theodore Roosevelt nach seiner US-Präsidentschaft in Afrika auf Safari ging.
Heute haben die Büchsen Namenszusätze wie „Luxus“, kosten ab 2000 Euro und haben einen Lauf, der kalt gehämmert wird, um so über Jahrzehnte höchste Schusspräzision zu garantieren. Getestet wird das mit jeder einzelnen Waffe: In einem abgelegenen Kämmerchen sitzt ein Mitarbeiter und gibt mit jedem Gewehr drei Schüsse ab, um die Streuung zu überprüfen.
Einen Stock höher verziert Verena die Gewehrschäfte mit Rehen, Gämsen oder auch Hirschen. Auch ein Bild der Ehefrau würde sie auf die Silberplatten ritzen. Gewollt hat das bisher noch keiner. „Bei der Jagd“, erzählt Verena von der nüchternen Begründung der Jäger, „wollen sie die Ehefrau nicht auch noch dabei haben.“